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Werra: Von Merkers zur Salzkristallgrotte

Montag, 2. März 2020

Werra: Von Trostadt nach Obersuhl

Werra-Tag 2: Das Egaltal, das ung-gewöhnliche Tal und das Salzgrenztal

gefahren im: August 2020
Start: Trostadt, Naturlagerplatz
Ziel: Bahnhof Wildeck-Obersuhl
Länge: 113 km
Werraquerungen: 16 (alles Brücken)
Ufer: abwechselnd rechts und links
Landschaft: erst niedrige Waldhügel, grauer Kalk und roter Sandstein, später hohe Salzberge
Wegbeschaffenheit: Radwege, steile Straßen, weniger Kieswege
Steigungen: öfter mal
Wetter: heiße Sonne mit Cumuluswolken
Wind: manchmal leichter Gegenwind
Highlight: Altstadt Meiningen
Größte Hürde: Steigungen, ohne zu schmelzen
Zitat des Tages: "Thüringer Klöße, die mag ich sehr."

6:00, Trostadt, Kilometer 57 Ich erwache ausgeruht. Da ich nicht wieder einschlafe, fahre ich los. Ich sollte öfter im Stroh schlafen.

6:08, Grimmelshausen Auf frischer Tat ertappe ich die goldenen Finger der Göttin der Morgenröte. Ich frühstücke an einer Rasthütte und gucke zu, wie sie den Himmel befingert.

1931 Die Leichtbauplatte wird in Grimmelshausen erfunden.


1131, Kloster Veßra Graf Gotebold II. von Henneberg gründet ein Kloster, dessen rekonstruierte Wasserkraftanlage das Hennebergsche Museum noch heute mit Strom versorgt. Nebenan fließt die Schleuse in die Werra. Nun ist sie schon ein richtiger Fluss.

1137 (angeblich) begräbt der größte Bergsturz Südthüringens die gottlosen Einwohner von "Dörfles". Sie müssen alle sterben, damit Thüringen frei von Sünde bleibt und Touristen diese Klippen bewundern können.

3.4.1595, 7:00 Wieder stürzt ein Teil der Berge ab, diesmal ist es aber ein seriöser, historisch gesicherter (Sogar die Uhrzeit ist begannt!) und vor allem säkularer Bergsturz.

6:50, Themar, Kilometer 64,5 Die nächste bunte Stadt wurde auch von den Hennebergern aufgebaut. Die waren hier wirklich sehr aktiv. Es ist sogar noch stiller als in Eisfeld, aber das kann man bei der Uhrzeit nun wirklich niemandem vorwerfen.


7:18, Henfstädt Ich schließe mein Rad an und steige auf einem steinigen Pfad neben einigen Muschelkalkklippen bergauf.
Wenn es etwas gibt, das (neben den Weißen Bergen - dazu kommen wir noch) typisch für das Werratal ist, dann sind es die Burgen. Deshalb möchte ich mir gern welche ansehen. Die Wartburg ist natürlich ein Muss, aber ich würde gern noch eine zweite Burg direkt an der Werra besichtigen. Als Ausgleich zur weltberühmten Wartburg wähle ich die möglicherweise kleinste, unbekannteste und verfallenste Burg an der Werra aus.


1182 oder ca. 1225 (Meine Quellen wiedersprechen sich.) Die Osterburg wird errichtet von - ja, richtig, schon wieder den Hennebergern. Sie wollten einen neuen Posten, um ihr Gebiet zu verteidigen. Zuständig ist Gräfin Sophia.

1252 Im Auftrag des Fürstenabtes von Fulda wird die Burg schon wieder zerstört. (Vielleicht war er eifersüchtig, weil es im Tal der Fulda keine Burgen gibt.)



Ab 1274 geht es mit den Hennebergern so langsam bergab. Ihre Grundstücke werden ständig unter den Erben geteilt, verkauft und verpfändet. Es versuchen immer mal wieder Adelsfamilien, hier zu wohnen. Am längsten hält noch die Familie von Hanstein durch. Anders als auf der Wartburg nimmt sich hier niemand die Zeit, um die Bibel zu übersetzen, das Krankenhaus, die hochdeutsche Sprache oder die deutsche Flagge zu erfinden. Es passiert absolut gar nichts von Bedeutung für die Geschichte Europas.


1977 Der Arbeitskreis Osterburg beginnt, die Burg ein bisschen wiederherzustellen. Es stehen noch ein halber Turm, ein ganzer (aber nicht so hoher Turm), ein paar verstreute Mauerstückchen, der Brunnen und der Bergfried. Der wurde komplett wieder aufgebaut, aber um dort reinzukommen, muss man erst einmal jemanden anrufen. So früh will ich niemanden aus dem Bett klingeln. (Wenn man den Turm schon für viel Geld wiederaufbaut, wäre doch sicher auch ein Drehkreuz mit Münzeinwurf drin gewesen, damit die Besucher ihn unkompliziert besuchen können.)


8:29 Endlich wieder ein Radweg an der Werra! So etwas gibt es heute, naja, nicht oft, aber immerhin öfter als gestern.

25.11.1944 Ein amerikanischer Pilot wird beim Angriff auf den Bahnhof Grimmenthal abgeschossen. Sein Flugzeug bohrt sich tief in die überflutete Wiese.

2011 Bei Baggerarbeiten werden seine Überreste entdeckt und in die USA überführt. Jetzt kann er hoffentlich in Frieden ruhen.


8:54, Untermaßfeld Ich entdecke eine weitere Werraburg. Besichtigen kann ich sie allerdings nicht, weil sie als Justizvollzugsanstalt genutzt und in durchsichtige Zäune mit Stacheldraht gepackt wird. Das sieht äußerst bizarr aus. Vielleicht hat sich Untermaßfeld vom italienischen Volterra inspirieren lassen.


9:39, Meiningen, Kilometer 87,5 In der größten Stadt an der Werra ist etwas mehr los.


10:11 Ich möchte mich im Freibad Rohrer Stirn abkühlen. Dazu muss ich mich zuerst stark erhitzen, denn das Bad liegt am Ende einer steilen Straße hoch über der Stadt. Aber das Wasser ist dann tatsächlich schön kühl.


11:02 Ich schlängle mich durch den Englischen Garten. Dahinter liegt das Theater, für das Meiningen hauptsächlich bekannt ist.


11:08 Die Altstadt von Meiningen gefällt mir wirklich gut, auch wenn die Radwege von mehreren Baustellen blockiert werden. Eigentlich hatte ich geplant, hier Mittag zu essen, aber dafür bin ich zu früh da. Ups.


11:11 Also überquere ich hinter dem Schloss die Werra und kehre zum Radweg zurück. Meiningen ist nämlich eine dieser Städte, wo der Radweg nicht einfach durchführt, sondern wo man zur Besichtigung den Fluss überqueren muss.


11:25 Ab jetzt wiederholt der Werratal-Radweg immer wieder folgendes Muster: Der Weg führt etwa 5 Kilometer nach Norden, dann folgt ein Ort, der (meistens) auf -ungen endet - wie ung-gewöhnlich! Dabei sind die 5-Kilometer-Strecken im Tal jedes Mal ein bisschen anders. Die ersten 5 Kilometer bestehen aus Radweg auf freiem Feld in der prallen Sonne. Dort wurde ich von Fremden nach Sonnencreme gefragt, so groß war deren Not.

1836 Herzog Bernhard II. baut sich das luxuriöse Schloss Landsberg (links oben), weil Bauern im Bauernkrieg die Burg zerstört haben, die da vorher stand.

2014 Das Luxushotel im Schloss wird geschlossen, obwohl es (schon in der DDR) bei Diplomaten, Prominenten und Hochzeitspaaren sehr beliebt war. Ein chinesisches Konsortium ersteigert das schicke Werraschloss und will dort ein Hotel wiedereröffnen, was aber bisher nicht passiert ist.


2012, Walldorf Eine eindrucksvolle Kirchenburg aus dem 15. Jahrhundert brennt aus. Sie soll als Erlebniskirchburg wiedereröffnet werden. Ich laufe einmal um die Mauern herum, entdecke aber keinen offenen Eingang. Zumindest kann ich bestätigen, dass die Bezeichnung Kirchenburg definitiv zutrifft: Die Fachwerkkirche ist umgeben von hohen Burgmauern, die auf grauen Felsen thronen. Ich erlebe da aber nix.


11:51 Die nächsten 5 Kilometer bestehen aus Kiesweg an der Werra.


12:32, Wasungen Ich überlege, ob ich zum Mittag zum Restaurant in der Burg Maienluft hinaufstrampeln soll. Aber seit dem Abstecher zum Freibad habe ich keine Lust mehr auf Zusatzberge - und Hunger. Also esse ich die Thüringer Klöße unten im Tal im Feuchten Eck, das wesentlich einladender ist, als es klingt.
Hier gibt es auch mal ein Kindergericht, das wirklich am Essverhalten vieler Kinder orientiert ist: Kloß mit Soße für 2 Euro.


13:15 Die nächsten 5 Kilometer bestehen aus einer bergigen Hauptstraße. Zum Glück herrscht wenig Verkehr und viel Schatten. Dennoch vermisse ich den perfekt ausgebauten Fuldaradweg.


12:23 Auf diesem Weg erreiche ich Schwallungen. Die nächsten fünf Kilometer führen wieder per Radweg übers freie Feld.

13:45 Die Schmalkalde kommt aus Schmalkalden angeflossen. Sie ist tatsächlich relativ schmal.


13:03 Die nächsten fünf Kilometer führen zwischen einem Maisfeld und der Werra entlang.

13:10 Hier nehme ich ein Bad in der steinigen, schlammigen, zugewachsenen und wunderbaren Dschungelwerra. Glücklicherweise werde ich nicht von Krokodilen angegriffen. Jetzt habe ich neue Energie. Auf das Abtrocknen verzichte ich schon längst. Ich ziehe mir einfach nur ein T-Shirt über. Bestimmt bin ich in einer halben Stunde wieder trocken, bis dahin genieße ich die Kühlung.

13:15 Ich bin trocken.


14:24, Breitungen, Kilometer 116,5 Ein Radweg führt mich im großen Bogen unter der Basilica von Breitungen vorbei. Ich stelle fest: Breitungen ist breiter als die Schmalkalde, aber vermutlich schmaler als Schmalkalden.



14:44 Die nächsten fünf Kilometer bestehen aus einer Nebenstraße am Waldrand.

15:00 In diesem Teil des Werratals liegen zahlreiche Baggerseen. Ich fahre direkt vorbei am Badesee Immelborn. Dieses Feuchbiotop wird bevölkert von alles andere als seltenen Arten wie dem Ausflügler-Auto, dem Kreischkind, dem Handtuchrentner und der Gemeinen Pommesbude.


15:22 Die finalen fünf Kilometer bestehen aus einem Radweg zwischen Werrawiesen und roten Sandstein.


15:27, Bad Salzungen, Kilometer 131 Schließlich überquere ich den Fluss noch einmal und erreiche das letzte Ungen. Bad Salzungen - dieser Name markiert den Übergang vom ung-gewöhnlichen Tal, wo alle Namen auf ung enden und die Hügel normal sind, zum Salzgrenztal der Werra - so nenne ich es zumindest, andere sprechen ironisch vom Land der Weißen Berge. Denn der Boden steckt hier voller Salze, und das hat auf unseren Fluss und die Landschaft enorme Auswirkungen.
In Bad Salzungen wird das Salzwasser vom Boden ins Jungendstil-Gradierwerk eingespeist und in der Luft verteilt, dann kann man kann es einatmen und das ist gesund, dazu gibts noch eine Soleschwimmhalle und ein Museum. Diese Solewelt ist verrammelt und verriegelt, selbst einen Rundgang ums Gradierwerk gibt es nur gegen 5 Euro Eintritt. (Wie wir später in Bad Sooden-Allendorf sehen werden, geht das auch anders.)
Eigentlich war Bad Salzungen mein Ziel. Nun bin ich viel früher als erwartet dort und will noch nicht nach Hause fahren, also was tun? Die Stadt besichtigen? Hätte ich normalerweise wohl gemacht, wenn mich Bad Salzungen nicht so abgeschreckt hätte. Der Marktplatz und die Altstadt sind vergleichsweise unspektakulär, das wahre Zentrum ist halt die abweisende Solewelt. An der Eisdiele am Einkaufszentrum erklingt laute, penetrante Musik. Ich fülle an der öffentlichen Toilette meine Trinkflaschen auf und verlängere die Tagesetappe spontan.
Um 40 Kilometer.


16:12 Der Radweg befindet sich zwischen der Bundesstraße und den Schleifchen der Werra. Ich winke den vielen Paddelbootfahrern zu. Vor mir erhebt sich die Krayenburg auf dem Krayenberg.


16:25 Da will ich auf keinen Fall hoch. Ich umgehe die Steigungen auf dem roten Kiesweg am Fuß des Berges.


16:43 Das Erlebnisbergwerk Merkers gerät in Sicht. Ich habe dort bereits eine Tour im Dezember gebucht, die zweifellos einen Extraeintrag verdienen wird. Dass sie ausfällt, weiß ich noch nicht. Heute muss ich in Merkers nur über die Brücke und einen Hügel hinauffahren.


17:01 Für die Strampelei werde ich mit einem schattigen Seitenwald-Radweg belohnt.


17:12 In Dorndorf kehre ich ans rechte Ufer zurück. Jetzt müsste ich mich doch im Land der Weißen Berge befinden, also wo sind die Weißen Berge? Ah, bei dem Hügel da hinten guckt immerhin etwas Weißes heraus. Dieser Berg wird aber nicht mehr genutzt und die Natur ist dabei, ihn sich zurückzuholen, deshalb ist er schon überwiegend hellgrün.



17:37, Vacha Ich fahre an einem prächtigem Ensemble aus Kirche, Burg und Brücke der Einheit vorbei. Es heißt Vacha und ist deshalb so gut erhalten, weil es in der Sperrzone der DDR lag. Vor gerade einmal 30 Jahren durfte niemand diese schöne Sandsteinbrücke überqueren, denn auf ihr stand ein hässlicher grauer Turm.


1945-1989 Hinter Vacha verlässt die Werra zum ersten Mal Thüringen und erreicht Hessen. Im Kalten Krieg trafen hier DDR und BRD aufeinander. Jetzt raten Sie doch mal, welcher Staat an welchem Ufer lag. Die DDR am Ostufer und die BRD am Westufer? Nein, genau umgekehrt.
Das liegt an der Eigenart der Werragrenze im Kalten Krieg. Wäre der Eiserne Vorhang genau auf dem Fluss, wäre das ja langweilig und böte viel zu wenig Anlass für Streitereien, das gab es ja schon bei der Elbe. An der Werra verläuft die Grenze im Zickzack hin und her, durch die Berge am linken und rechten Ufer und ab und zu für wenige Kilometer auch mal auf dem Wasser. Diese bekloppte Grenze hatte dramatische und kuriose Folgen, und die erste ist auch gleich am Straßenrand von Vacha zu sehen:
Eine weiße Druckerei namens Haus Hoßfeld. Es handelt es sich um das einzige Haus, durch das der Eiserne Vorhang verlief.

1928 Ein bisschen beschwören die Herausgeber der Rhönzeitung das Unglück herauf, als sie ihr Gebäude absichtlich über die Grenze erweitern, um in Thüringen zu drucken und Steuern zu sparen.

31.12.1951 Als sie nach dem zweiten Weltkrieg hören, dass die Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone losgehen und die Grenze undurchlässiger wird, schaffen sie nachts heimlich alle Druckmaschinen ins hessische Hauptgebäude und vermauern den Zugang. Puh! Die DDR ist beleidigt und verbietet ihnen den Zugang und Reparaturen am Anbau.

1976 Nach dem Grundlagenvertrag dürfen die Herausgeber den Thüringer Teil der Druckerei wieder nutzen. Nur ist der jetzt natürlich völlig verfallen, Entschädigung gibts nicht.


17:48, Philippsthal Nun geht es eigentlich die ganze Zeit direkt an der Werra entlang. Am Ufer erstreckt sich das Örtchen Philippsthal. Dort steht ein attraktives rotgelbes Schloss und ein Freibad - ach, ich gehe nochmal baden. Der Eiserne Vorhang verlässt die Werra hier schon wieder.


18:17 Im Fluss baden möchte ich hier nicht mehr, denn das ist nicht mehr dasselbe Wasser, in dem ich heute gebadet und aus dessen Quelle ich gestern getrunken habe. Bevor ich aus dieser Werra hier trinke, nehme ich doch lieber mein Spülwasser.
Hier sind zwei weiße Berge zu sehen, ein größerer und ein kleinerer. Tief unter diesen Bergen wird Kalisalz abgebaut. 


18:34 Ich erkenne eine gewisse Evidenz, dass dieser Bauer Hunde so richtig scheiße findet.


19:03, Heringen, Kilometer 164 Der Radweg folgt der Straße bis nach Heringen. Hier treffen wir schon wieder auf den Eisernen Vorhang - und auf den europäischen Radweg Iron Curtain Trail/Eurovelo 13, der dem Eisernen Vorhang folgt. Die erste Schleife der Grenze von der Werra durch die Berge hat der noch mitgemacht, aber ab Heringen folgt der die ganze Zeit konsequent der Werra, weil selbst den Grenzradlern diese ganzen Schlenker der Grenze zu blöd sind. Ich habe also auch das Buch zum Eisernen Vorhang mitgenommen. Da haben die Karten zwar einen kleineren Maßstab, aber dafür steht mehr interessantes Geschichtswissen drin.
Direkt unter mir lagert Giftmüll in einem Bergwerk, darunter genug Arsen, um sämtliche Menschen der Erde zu vergiften. Zum Glück weiß ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
In Heringen entdecke ich keine Heringe (selbst denen ist das Wasswr zu salzig), sondern das geschlosssene Werra-Kali-Bergbaumuseum.


19:17 In dem Museum geht es um den größten Salzberg Deutschlands, den Monte Kali. Als ich zu Hause die Karte studierte, dachte ich: Hm, der ist aber ganz schön weit weg vom Museum.
Vor Ort schien es jedoch, als rage gleich auf der anderen Straßenseite auf. Der Berg ist so gewaltig, dass er quasi von überallher zu sehen ist.
Hinter Heringen verlasse ich die Straße und fahre zum letzten Mal über den Fluss, nach Dankmarshausen.


19:35, Dankmarshausen Dort biege ich in ein besonderes Naturschutzgebiet ab. Im Hintergrund steht nach wie vor der Monte Kali, auf dessen Gipfel die Fördermaschinen geisterhaft blinken.


19:50 Das Naturschutzgebiet heißt Rhäden und hat eine wirklich riesige Vogelbeobachtungshütte mit Bänken, die an ein halbes Amphitheater erinnern. Ich schaue durch ein Fernglas und stelle überrascht fest, dass a) sich auf dem See wirklich viele Vögel tummeln und b) man in diese Ferngläser keine Münzen werfen muss.
Der Rhäden ist Teil des Grünen Bands. Wenige Meter hinter der Hütte verlief der Eiserne Vorhang - ich bin wieder in Hessen.


20:13, Obersuhl Das kleine Obersuhl ist in mehrfacher Hinsicht überraschend. Zum einen ist es hier belebter als an den meisten Städten an der oberen Werra, zum anderen ereigneten sich gleich zwei der kuriosen Grenzstreitigkeiten im Kalten Krieg.

1952 Zum einen war da die Sache mit der Bahn. Rund um Obersuhl überqueren die Bahngleise ständig den Eisernen Vorhang, darunter auch die Güterzüge, welche die Kalisalze abstransportieren. Es gibt keine Bahnstrecke, die in den Osten fährt, ohne ein Stück des Westens zu durchqueren. Deshalb baut die DDR schnellstmöglich eine Umgehungsstrecke nach Eisenach (die nach der Wende gleich wieder abgebaut wurde).
Welcher Staat verwaltet die Bahn bis wohin? Man einigt sich, dass die DDR erst ab dem zweiten Eintritt in den Ostblock zuständig ist. Arbeiten dann auch DDR-Arbeiter auf Westgebiet? Wie werden sie bezahlt und wo tauschen sie das Geld um? Der Streit um solche Fragen führte immer mal wieder dazu, dass die Gleise aus Trotz ganz gesperrt werden.

1962 Mit dem Bau der Mauer werden auch die Gleise auf Westgebiet, welche die DDR verwaltet, komplett in Zäune und Stacheldraht gehüllt, damit niemand im falschen Moment vom Zug hüpft.

1966 Die DDR stellt der BRD eine Rechnung für die jahrelange Nutzung ihrer Bahngleise. Bis sie zahlt, wird die Strecke mal wieder gesperrt. Die BRD handelt die Rechnung auf einen deutlich niedrigeren Betrag runter.

Foto im Grenzmuseum Schifflersgrund

1950 Die Grenze zwischen Ost und West trifft auf die Straße zwischen Obersuhl (Hessen) und Untersuhl (Thüringen). Sie überquert die Straße nicht einfach, und sie verläuft auch nicht in der Straßenmitte (das gab es auch öfter) - nein, sie führt bis zum weißen Pfosten (links) und dann diagonal über die Straße. Auf der linken Straßenseite wohnten Westbürger. Wer sein Haus ganz hinten hatte, konnte sich glücklich schätzen und fast die ganze Straße nutzen. Wer aber ganz vorne lebte, dem blieb nur ein schmales tortenförmiges Straßenstück. Ein Umzug oder Großeinkauf war kaum möglich, ohne eine schwere Straftat auf DDR-Gebiet zu begehen, für die einen zufällig vorbeikommende Grenzsoldaten verhaften konnten.
Ostbürger wohnten hier natürlich nicht, weil das Straßenstück außerhalb der Mauer lag. Die DDR hatte also nichts von ihrem tortenförmigen Asphaltstück, wollte es aber auch nicht einfach gratis hergeben.

1975 Irgendwann einigt sich die Grenzkommission aber auch hier, dass die ganze Straße befahren werden durfte (mit Ausweispflicht auf dem DDR-Teil).


20:36 Meine Etappe endet in Obersuhl, auch wenn das nicht direkt an der Werra liegt, weil hier der erste Bahnhof seit Bad Salzungen steht.

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