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Werra: Von Merkers zur Salzkristallgrotte

Sonntag, 18. Juli 2021

Hase: Von Lage nach Meppen

200 Kilometer in zwei Tagen sind ein straffes Programm, also bin ich früh losgefahren, auch wenn das Wetter mies war. So richtig mies. Mit anderen Worten: Es hat sogar noch mehr geregnet als im Hasestollen. Aber weil ich meinen Poncho seit dem Aufstehen getragen habe, bin ich einigermaßen trocken geblieben. Wobei der Regen zwischendurch auch schon mal aufgehört hat. Ungefähr zehn Minuten lang. Also exakt genau so lange, dass der folgende hoffnungsvolle Gedanke entstehen konnte: Oh, es regnet ja nicht mehr, vielleicht bleibt das ja so. Länger aber nicht.
Leider waren Teile meines Gehirns der Meinung, ich könnte ruhig noch etwas mehr Zeit als nötig im Regen verbringen. Deshalb habe ich in diesem Labyrinth aus Gehöften, privaten Sackgassen und Flussarmen andauernd den richtigen Weg verfehlt.

Anfangs hat die Hase die meisten Flussarme wieder eingesammelt. Jetzt ist sie richtig breit und ähnelt fast einem Kanal. Wäre sie in Osnabrück so breit gewesen, hätte man den Verbindungskanal vielleicht gar nicht gebraucht.

Obwohl, vermutlich hätte man ihn trotzdem gebraucht. Denn die Hase hat nun einmal die Angewohnheit, sich ständig zu teilen. Egal ob Bifurkation oder Delta - Teilungen sind ihr liebstes Hobby.


5. Die Hase (laut Karte)/Bersenbrücker Hase (so nenne ich die)

Dieser Arm durchquert einen klatschnassen verregneten Park in Bersenbrück mit einer Wassermühle. Auf einer steinernen Bank habe ich zwei nasse zermatschte Mohnschnecken verspeist. Naja, ich hatte schon besseres Frühstück auf einer Radtour.


6. Die Alte Hase

Dieser Altarm ist immer noch mit dem Fluss verbunden: Er fließt irgendwie ganz komisch unter der Hase durch, mündet in die Wrau und die landet dann in einem Hasearm. Zumindest sah das auf der Karte so aus. Sehr seltsam.


7. Die Überfallhase und die Kleine Hase

Kurz vor Quakenbrück bildet die Hase ein paar ganz flache Stromschnellen mit Büschen drin und teilt sich nochmal - ein beeindruckender Anblick.
Beide Teile landen letztendlich im Essener Kanal (siehe unten), aber die Kleine Hase durchquert vorher noch Quakenbrück.


8. Die Kleine Hase/Hahnenmoorkanal und die Deichhase/Große Mühlenhase

Und weils so schön war, gleich nochmal eine Teilung! Die Hase muss das Kindergartenlied Teilen kann heilen sehr ernst genommen haben.
Das rechts ist die Große Mühlenhase, die im Tretlanger Kanal landet, die Kleine Hase links trifft erst viel später auf die vollständige Hase. Beide Hasen haben noch diverse Querverbindungen und ändern zwischendurch gerne mal ihren Namen.
Das Wappen der Stadt Quakenbrück zeigt einen Frosch, und durch die Altstadt führt der Poggenpad, ein Rundweg, der mit Froschspuren auf dem Bürgersteig markiert ist. Man sollte also meinen, dass das der Name Quakenbrück etwas mit quakenden Fröschen zu tun hat. Hat er aber nicht. Stattdessen hat der Name mit dem Hasedelta zu tun, denn er bedeutet "Brücke über das bebende Sumpfland" und ist verwandt mit dem englischen Wort quake.


Eines der beeindruckendsten Gebäude der schönen Fachwerkstadt ist links zu sehen. Nein, das ist nicht das Rathaus, sondern das Finanzamt. Davor steht eine Statue mit dem Namen Der arme Steuerbürger. Ich habe noch nie ein Finanzamt gesehen, das sich derart prächtig und gleichzeitig humorvoll präsentiert. Da bezahlt man seine Steuern doch fast gerne... aber nur fast.


9. Der Essener Kanal

Dieser wunderbare braune Kanal bahnt sich seinen Weg zwischen Bäumen, Schafen und sehr nassen Anglern hindurch. Er verfügt über einen tollen Radweg, eine Schleuse und (das allerbeste) eine Schutzhütte mit Bänken, die auch vor starkem Dauerregen schützt.


10. Der Bünne-Wehdeler-Grenzkanal

Bitte was?


11. Die Lager Hase

Die fließt gar nicht durch Lage, jedenfalls nicht durch das Lage, wo ich das Nonnenkloster gesehen habe. Ein Lager habe ich da auch nicht gesehen. Und überhaupt, wo zum Geier kommt denn jetzt auch noch diese Hase her?
Über die Lager Hase fährt zum letzten Mal eine normale Bahn. Ab jetzt gibts bis zum Ziel nur noch Güterzüge und eine Museumsdampflok an jedem zweiten Samstag.


Schade, denn an dieser Strecke liegt etwa alle 10-15 Kilometer ein hübsches Städtchen mit einem hohen, rechteckigen Ziegelkirchturm, der mal mehr, mal weniger aufwändig verziert ist.
Das Städtchen an der Lager Hase nennt sich Essen (Oldenburg). Das Oldenburg in Klammern soll vermutlich klarstellen, dass es sich nicht um das Essen im Ruhrgebiet handelt. Das hätte ich jetzt auf den ersten Blick sowieso nicht angenommen.


Ein Stück weiter verquirlen und vermischen sich die Lager Hase und der Essener Kanal. Auf einem Aussichtspunkt konnte ich mir dieses wunderbar verworrene Wasserwirrwarr genau ansehen - und, was noch viel wichtiger war, mich vor dem Regen schützen.
2009 haben die Menschen hier eine eine Art See mit tiefen und flachen Zonen sowie Sandbänken angelegt. Das sollte zum einen Grabwespen und Sandbienen eine Heimat bieten und zum anderen unerwünschte Schadstoffeinträge ins Wasser verhindern. Wie genau das Wasserwirrwarr Schadstoffe stoppt, erklärt die Hinweistafel nicht. Es wurden 25000 Kubikmeter Erde abgetragen, genug für zwei neue Sportplätze und mehrere Lärmschutzwälle.


11. Der Tretlanger Kanal

Leider hat dieser Kanal keine Ersatz-Tretlager für mein Rad. Enttäuschend.


12. Die Große Hase

Und dann sind endlich wieder alle Arme vereint und die Hase schlängelt sich breit nach Westen. Radwege am Ufer gibts trotzdem nur in der Nähe der Städte, aber zumindest sind die etwas länger geworden.
Auf dem Weg nach Löningen soll es Kunst am Fluss geben, behauptet die Karte. Hmm, stellt diese Skulptur vielleicht die absurde Neigung des Menschen, sich selbst immer wieder einzusperren und die ihm innewohnende Natur zu begrenzen... ach nee, ist ein Weidezaun.
Das einzige Kunstwerk, das ich entdeckt habe, war der wunderbare bunte Wildblumenstreifen am Rand des Ackers. Aber auch sonst gefällt mir die Landschaft selbst im Regen ganz gut.
Klar,  niedersächsisches Flachland ist nicht sonderlich spektakulär, aber das hier ist zumindest so richtig grün und lebendig, nicht so trist wie das Flachland an der Weser oder Leine nördlich von Hannover.


Der Kirchturm von Löningen sieht besonders profan aus, und sehr zugig, da er offenbar aus nur aus roten Seilen besteht... ach nee, das ist der Spielplatz.


Es folgt ein dichter, sumpfiger Wald, in dem ich trotz strömenden Regens einem Rudel mit Hunden, Menschen und einem großen Tuch ausweichen musste. Offenbar hatte die Hundeschule Wandertag und wollte ihn keinesfalls verschieben.
Aus völlig undurchschaubaren Gründen ist in der Karte neben diesem Wald das "Hasetal" als Sehenswürdigkeit eingezeichnet. Dabei sieht die Große Hase genau so aus wie immer.
Im Umland scheint es hingegen einige seltsame Naturschutzgebiete zu geben - und noch seltsamere Prüfungen, die man in der Natur ablegen kann. Es werden das Moordiplom oder das Wacholderabitur angeboten.

Die nächste Sehenswürdigkeit ist die Aselager Mühle. Es handelt sich um eine Erdholländer-Kappenwindmühle, was immer das ist (sie steht definitiv auf der Erde und hat eine Kappe obendrauf, so viel ist richtig). Erwartet habe ich eine Windmühle, die wie die meisten Mühlen allein in der Gegend herumsteht. Stattdessen ist die Aselager Mühle Teil eines edlen Hotel-Restaurant-Komplexes aus historischen Fachwerk-Bauernhäusern. Vielleicht ist das sogar einer dieser Artland-Höfe. Das ist so eine typische Bauernhof-Bauform in dieser Region.
Weil ich tierischen Hunger hatte, bin ich im erstbesten Restaurant verschwunden, das zur Mittagszeit seine Pforten geöffnet hat, und das war zufällig dieses hier - auch wenn es eigentlich etwas über meiner Preisklasse lag. Als ich eine Stunde später wieder herauskam, war der Regen plötzlich weg. Die Sonne ist da! Darauf hatte ich gar nicht mehr zu hoffen gewagt.

Nächster Halt: Herzlake. Der hiesige Kirchturm ist eine 700 Jahre alte Baustelle.

Achtung, hier ist wirklich ganz schwerer Verkehr unterwegs! Die hiesigen Traktoren sind lebensgefährlich, sie haben sogar Jesus überfahren, wie dieses Gedenkkreuz beweist.

Haselünne hat wieder einen dieser superidyllischen, spiegelglatten Badeseen, diesmal etwas moderner mit Motorbooten und Glasrestaurant. Der Name der Stadt kommt von den Worten hassa lunni. Das heißt dunkles Wasser und ist bezogen auf diesen See schonmal Quatsch.

Die Innenstadt von Haselünne hingegen besteht größtenteils aus unspektakulären Ziegelwänden. So viele alte Gebäude hat die älteste Stadt des Emslands gar nicht zu bieten.

Nachdem sie so viele Kilometer gleich ausgesehen hat, ändert die Hase kurz vor dem Ende doch noch mal ihr Outfit und hüllt sich in urigen, norddeutschen Laubwald.

Dann bin ich auch schon im Vorgarten-Heckenlabyrinth von Meppen angekommen.

In Meppen mündet die grüne Hase in den Dortmund-Ems-Kanal. Genau an der Mündung steht noch eine Windmühle, die holländische Höltingmühle. Was aber noch viel wichtiger ist: Die Hase endet selbstverständlich mit einem grünen Geländer. Alles andere wäre einfach unpassend. Meppen wird auch Grüne Stadt am Wasser genannt, und das, wie jeder, der auf dieser Brücke steht, zugeben muss, völlig zu Recht.
Damit Schiffe unten durchpassen, ist die Brücke etwas höher, sodass ich das Rad durch eine Metallrinne neben den Treppenstufen hochschieben musste.

Meppen ist schon ziemlich nah dran an den Niederlanden, und das sieht man der Stadt auch an. Diese putzige Ziegelaltstadt könnte so auch auf der anderen Seite der Grenze stehen (obwohl Meppen selbst mit Hase, Ems, Dortmund-Ems-Kanal, Hase-Altarm und Stadtwall-Graben längst nicht so viel Wasser wie Amsterdam hat).
Das Meppener Rathaus hat ein besonderes Untergeschoss, das aus richtig großen Findlingen besteht.

Die letzte Brücke für heute ist nicht grün, sondern blau, und außerdem eine Hubbrücke. Zum Glück war die gerade unten, sonst hätte ich womöglich den Zug verpasst. Dahinter ist ein Altarm der Hase zu sehen, der heute als Hafen von Meppen fungiert (links). Schon im Mittelalter stand hier eine bewegliche Brücke aus Holz.
 

Hinter der Hubbrücke trifft der Dortmund-Ems-Kanal auf die Ems. Der Kanal ist eigentlich sowieso ein Teil der Ems, denn er zweigt immer wieder von der Ems ab und und fließt dann wieder zurück. Deshalb kann man mit Fug und Recht auch die Mühlenmündung an der grünen Brücke als "Mündung in die Ems" bezeichnen.
Die Hase ist sogar der größte rechte Zufluss der Ems.
Um 15:50 bin ich zufrieden in die Westfahlenbahn gestiegen. Ich hatte tatsächlich die 200 Kilometer in zwei Tagen geschafft. Nun weiß ich, wie die Hase läuft.

Der Radweg Hase-Ems-Tour geht noch weiter, denn bisher gab es zwar viel Hase, aber nur wenig Ems. Deshalb folgt die Radroute der Ems stromaufwärts bis Rheine und kehrt dann auf einem Stück ohne Fluss nach Osnabrück zurück. Auf der Karte ähnelt der Radweg entfernt einem Q - eine Rundtour mit einem kleinen Anhängsel im Teutoburger Wald.

Freitag, 16. Juli 2021

Hase: Von Melle nach Lage

Von allen Nebenflüssen der Weser ist die Hase vermutlich der eigenartigste. Nur durch Zufall habe ich entdeckt, dass es diesen Fluss überhaupt gibt und das man ihn als Nebenfluss der Weser sehen könnte, zumindest teilweise. Die Hase ist nämlich bi: Sie fühlt sich sowohl zur Weser als auch zur Ems hingezogen.















Der Teutoburger Wald im Juli ist heiß, grüngelb und für Radler und Römer potentiell gefährlich. Ein Waldrücken zieht sich wie eine Linie über den Horizont und bildet die Barriere zwischen Norddeutschland und Mitteldeutschland. Wald und Feld sind sauber voneinander getrennt. Der Teutoburger Wald ist irgendwie unauffälliger und ordentlicher als all die anderen deutschen Mittelgebirge, die sich südlich dieser Waldlinie auftürmen.
Die Sonne brennt, das Getreide reift und kleine suizidale Fliegen kollidieren bei Höchstgeschwindigkeit mit meinem Auge. Aaargh!
Manchmal regnet es hier aber auch. Dann sickert das Wasser in die Erde, bis es auf  Ton trifft. Der ist wasserdicht.

Also rutscht das Wasser über die Tonschicht, bis der Berg zu Ende ist und es an der Seite raussprudelt. 

Einige Minuten nach dem Insekten-Crash erblickte mein zusammengekniffenes Auge einen schmalen Waldstreifen und tröpfelte einige Tränen in eine Moosmatschpfütze. Das ist die Quelle der Hase. Von hier aus braucht das Wasser sechs Tag bis nach Meppen, mir dagegen waren zwei Tage genug, obwohl meine Route sogar 33 Kilometer länger war als der Fluss (wenn ich mal ein bisschen angeben darf).
Die Quelle ist an sich nicht sehr spannend, dafür aber mit Bänken, Fahrradständer, übersichtlichen Infotafeln und einer großen Holztafel ausgestattet. Darauf prangt der beste Slogan, den ich je im Zusammenhang mit einem Fluss gelesen habe: Wir wissen, wie die Hase läuft.

(Übrigens habe ich wirklich mehrmals Hasen an der Hase hoppeln sehen, so viele wie auf keiner anderen Tour. Für ein Foto waren die zu schnell.)


Die Hasequelle hat sogar ihre eigene Bushaltestelle, obwohl da niemand wohnt.


Als erstes passiert die Hase ein paar Bauernhöfe.


Dann durchquert sie einen dunklen Wald, wo sie unter einem grünen Brückengeländer durchfließt. Unter grünen Geländern durchfließen ist die zweitliebste Beschäftigung der Hase.


Die schmalen Pfade im Unterholz führen zu privaten Waldhäusern. Hier soll sich irgendwo der Hasesee alias Kronensee liegen, den ich aber nicht gefunden habe. Seit der See 2003 umfangreich umgebaut und etwas verkleinert wurde, fließt die Hase da sowieso nicht mehr durch.


Also habe ich den See rechts liegengelassen und aus den Bergen rausgefahren, um auf irgendwelchen Feldstraßen im Zickzack hin und her zu irren.
Auch an der großen Landstraße fehlen 3,5 Kilometer Radweg zum nächsten Ort. Deshalb hat das Dorf Himmern eine Aktion gestartet: Jeder kann sich seinen eigenen Meter Radweg finanzieren, auf Wusch auch mit Namensplakette. Schilder, Flyern und rot angemalte Räder (eine nette farbliche Abwechslung in der grünen Landschaft) werben dafür. 


Nur einmal ganz kurz bietet die Gegend ein richtig schönes Stück Flussradweg direkt am Ufer, und zwar an der interessantesten Stelle der Hase: Die Bifurkation. Das ist quasi das Gegenteil einer Mündung: Ein Fluss teilt sich in zwei Teile, die in verschiedenen Flusssystemen landen (sonst wäre es nur ein Delta). Bifurkationen sind selten, denn dafür muss ein Fluss ganz dicht an einer Wasserscheide langfließen und es muss so flach sein, dass er die Wasserscheide einfach mal gepflegt ignorieren kann.


Weil Bifurkationen so selten sind, wird diese hier von einem Bifurkations-Erlebnispark umgeben. Der Begriff erscheint vielleicht ein bisschen hochgegriffen. Der Park besteht aus vielen Texttafeln, einem Wasserspielplatz mit Pumpe, bei dem sich die Wasserrinnen teilen, und viel, viel grünem Geländer. Genau an der Stelle, wo sich der Fluss teilt, befindet sich gar keine Erde mehr, sondern eine Betonplattform mit grünem Geländer. Um dorthin zu kommen, muss man aber zunächst zwei Flüsse auf Brücken mit grünem Geländer überqueren und kann unterwegs noch einen kleinen Aussichtsturm mit grünem Geländer besteigen.


Wie die Bifurkation der Hase entstand, ist immer noch umstritten. Dazu existieren folgende Theorien:

a) Es ist eine natürliche Bifurkation: Die Hase hatte einfach Bock, sich zu teilen.

b) Es ist eine künstliche Bifurkation: Die Bauern einen Graben gebuddelt, um zusätzliches Wasser von der Hase in die Uhle zu leiten und damit ihre Wassermühlen anzutreiben. Zugegeben, mit dem ganzen Beton sieht die Teilung schon recht künstlich aus.

c) Beides ist richtig: Zuerst war es eine periodische natürliche Bifurkation, das heißt, nur bei Hochwasser ist ein bisschen was von der Hase in die Weser rübergelaufen. Die Bauern haben daraus eine dauerhafte gemacht. Der neue Abfluss hieß zuerst Twelbeke und wurde später Else genannt, weil ein Kartograph den mit einem anderen Bach verwechselt hat.

d) Ein Ritter verlobt sich mit einer einfachen Müllerstochter namens Else. Sein Vater findet das so schlimm, dass er sie am Ufer der Hase ersticht. Vor Wut sprudelt die Hase um ihre Leiche herum und teilt sich.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob das als natürliche oder künstliche Bifurkation einzustufen ist. Einerseits hat sich die Hase freiwillig geteilt, andererseits hat ein Mensch das verursacht.
Für diese sagenhafte Theorie spricht jedenfalls, dass der rechte Flussarm etwas schneller und spritziger unterwegs ist.


Die Else bekommt etwa ein Drittel des Wassers. Sie fließt nach kurzer Zeit mit der Uhle zusammen, die schon zum Flusssystem der Weser gehört.

 

Dann wird sie viel breiter und durchquert die Stadt Melle, vorbei an den vier weißen Fachwerkhäusern des Gröngaumuseums. An ihrem Ufer erstreckt sich eine Hochzeitsallee. Das bedeutet, jedes Brautpaar pflanzt einen Baum und ein dazugehöriges Schild mit Namen, Datum und Baumart. Der Baum wächst dann, das Schild in der Regel nicht. Viele, viele metallene grüne Brückenbögen überspannen die Else. Später mündet die Else in die Werre, und die landet bei Bad Oeynhausen in der Weser.
Melle ist zufälligerweise auch die dichteste Stadt mit dem einem Bahnhof, weshalb ich dort morgens an der Else mit dieser Tour begonnen habe.


Das ist etwas absurd, denn eigentlich folgt diese Tour gar nicht der Else, sondern dem anderen Arm des Flusses. Die restlichen zwei Drittel des Wassers behalten den Namen Hase und fließen nach Westen.


Diese Radroute heißt Hase-Ems-Tour und ist einer dieser Radwege, bei dem ich nicht weiß, warum der immer so unnötige Schlenker durch Dörfer macht, in denen es nichts gibt. An der Landstraße ist doch die ganze Zeit so ein gerader Radweg! Ab und zu liegen Gutshäuser oder Schlösser in der Nähe, die sind aber meistens geschlossener Privatbesitz.


Dann nähert sich die Hase auch schon ihrer größten Stadt. Den unnötigen Umweg durch das Ostviertel habe ich mir abgekürzt, um die Strecke an der Hase umso mehr genießen zu können. So ist das bei kleinen Flüssen: Schöne Uferwege gibts meistens nur in der Nähe der Städte, weil es sich nur dort lohnt, welche zu bauen. Ein Kiesweg folgt dem Gürtel aus wilden grünen Ufer-Wucher-Pflanzen, darüber spannt sich eine Betonbrücke nach der anderen.


Der Uferweg hat eine Ampel, die bei Hochwasser rot leuchtet, dann darf man nicht weiter. (Daneben ist ist übrigens ein typisches Fahrradschild aus dem Osnabrücker Land mit dem Logo der Hase-Ems-Tour zu sehen.)


Osnabrück ist die schönste der vier großen niedersächsischen Städte. (Das spricht zwar durchaus für Osnabrück, vor allem aber gegen Hannover, Braunschweig und Wolfsburg.)
Auch viele Autofahrer wollen nach Osnabrück. Als ich sah, wie sie in einer langen Schlange bei der Affenhitze auf einen Platz im Parkhaus warteten, wusste ich mal wieder, dass ich das richtige Verkehrsmittel gewählt hatte.

Osnabrück wurde zur Stadt, indem Karl der Große hier aus strategischen Gründen einen Bischof hinsetzte. (Der Karl scheint generell für die meisten Städte an der Hase verantwortlich zu sein.)
Die Spezialität der Stadt sind hohe Kirchen und sprudelnde Brunnen. Auf dem Platz des Westfälischen Friedens verkündet die Figur auf dem Brunnen den Westfälischen Frieden. Dieser Frieden ist das mit Abstand wichtigste, das in Osnabrück je passiert ist: Hier endete ein Krieg, der 30 Jahre lang Europa verwüstet hatte. Da es noch keine Zoom-Konferenzen gab und sich die Katholiken und Protestanten nicht persönlich in die Augen sehen wollten oder die Stadt zu klein für alle war oder was weiß ich, liefen die Verhandlungen maximal kompliziert ab: Die schwedische Königin Christina und die protestantischen Städte Deutschlands saßen im Rathaus Osnabrück und schickten Boten zu den Katholiken in Münster. Die Boten ritten vier Jahre lang hin und her, bis eine Einigung da war.
Anders als Münster hatte Osnabrück auch selbst beim Krieg einiges abbekommen, weshalb es den Bewohnern superschlecht ging und selbst die Gesandten des Friedens in einfachen Hütten wohnten.


An der Altstadt endet der Uferweg, kurz darauf geht es aber mit einer noch schöneren Allee weiter.


Hier rauscht die Hase durch ein richtig großes Wehr.


Dann hat Osnabrück auch noch das beste Erlebnisbad in Niedersachsen. Es sieht zwar einfach nur weiß aus, bietet aber so abgefahrene Sachen wie Stehrutschen, Ninja-Parcours im Schwimmerbecken oder im Weltall schnorcheln mit VR-Brille. Dieses Schwimmbad wurde nach einem Nebenfluss der Hase benannt: Nettebad.


Ein anderer interessanter Ort ist das Museum der Industriekultur - sofern man es denn findet. Das ist nicht ganz so einfach, denn das Museum besteht aus vielen klassizistischen bahnhofsähnlichen Hallen. Die meisten davon werden nur für irgendwelche Sonderveranstaltungen geöffnet.


Ich bin in eine komplett menschenleere Sonderausstellung über Wasser gestolpert, wo eine historische, 11,3 Meter lange Karte der Hase im Fürstbistum Osnabrück den Boden bedeckte. Die hat ein Richter angefertigt, statt selbst zu recherchieren hat er sich auf Sekundärquellen verlassen, weshalb die Karte nicht ganz exakt ist.
Die Ausstellung bestand aus drei Räumen und befasst sich mit den üblichen allgemeinen Themen Wasserknappheit, Wassersparen, virtuelles Wasser usw. Erst als ich an der Kasse fragte, wo denn der Rest sei, wurde mir klar, dass ich gerade nur für diese drei Räume bezahlt hatte. Das eigentliche Museum war noch zehn Minuten Fußmarsch entfernt.


Das Gebäude mit der Dauerausstellung erhebt sich auf dem steilen Piesberg. Der gehört zum Wiehengebirge (noch so eine gerade Waldlinie) und ist der letzte Berg auf dieser Tour, denn danach bleibt es flach.
Schon immer wurde hier ein bisschen an den Bodenschätzen gekratzt. Dann aber fand plötzlich rund um den Piesberg die Industrialisierung Osnabrücks statt: In den Steinbrüchen wurden von oben Steine abgehauen, die Kohle wurde ab 1969 viel schneller durch senkrechte Schächte abgebaut, und rundherum produzierte man unter anderem Maschinen, Spaten und die legendären Leinenmäntel, die später alle Schauspieler in amerikanischen Italo-Western trugen. Letzte wurden von Straftätern im Gefängnis hergestellt. Dann kam auch noch die Eisenbahn dazu, und schon lief die Industrialisierung in Osnabrück rund, mit all ihren guten und schlimmen Folgen. Die Osnabrücker waren schon immer handelstüchtig, deshalb hat sich die Stadt schnell an die neue Zeit angepasst.
Die Ausstellung zeigt dazu einigerseits ein paar anschauliche Gegenstände und Modelle, andererseits aber jede Menge Texte, die sich eher dröge lesen.


Das Museum hat auch einen Aufzug. Wer darin versehentlich die Taste -4 drückt, der wird sich zunächst wundern, wie tief der Fahrstuhl fährt - um dann plötzlich durch die Tür in eine andere Welt zu treten. (Ich war überrascht, dass ich die Taste ganz alleine drücken durfte. Normalerweise haben Fahrstühle zu solch ungewöhnlichen Orten einen relativ unnötigen Angestellten, der ihn bedienen muss.) Der Aufzug fährt den Haseschacht runter, der sogar noch viel tiefer als 4 Etagen unter die Erde reicht.
Die minus-vierte Etage besteht nicht aus warmen, trocken Museumsräumen, sondern aus dem dunklen, kalten Hasestollen, in dem es von der Decke tropft. Und das ist noch untertrieben - nicht einmal eine Tropfsteinhöhle tropft dermaßen viel. Korrekter wäre: Es regnet von der Decke. Das ist auch der Grund, warum die Stollen 1898 geschlossen wurden: Die Bergleute gingen immer wieder unfreiwillig baden und bekamen das einbrechende Wasser einfach nicht in den Griff. Einen der Versuche, es in den Griff zu kriegen, konnte ich persönlich durchschreiten: Neben dem Hasestollen verläuft ein Extrastollen mit einer überraschend leeren Rinne, durch die das ganze Tropfwasser abläuft.
Im Haseschacht (also wo der Aufzug drin ist) wurde Osnabrücker Anthrazit abgebaut. Das ist Steinkohle, die für ihre Top-Qualität bekannt war. Durch den Hasesstollen (also wo ich durchgehen konnte) wurde die dann abtransportiert. Den Hasestollen gab es aber schon vor dem Haseschacht, denn auch andere Schächte benutzten den Stollen als Ausgang.
Der lange, gerade und, falls ich es noch nicht erwähnt habe, nasse Gang führt vom Aufzug bis zu einer Stahltür, wo ich ebenerdig wieder bei der Wasserausstellung direkt neben meinem Fahrrad herausgekommen bin. Vorher habe ich mir aber gaaanz viel Zeit gelassen und bin langsam durch den Gang gewandert. Denn in Anbetracht der Sommerhitze da draußen wollte ich den kühlen Stollen lieber ausgiebig auskosten.


Sowohl für das Nettebad als auch für das Museum musste ich mich ganz schön weit von der Radroute entfernen. Deshalb war ich selber überrascht, dass ich das zeitlich so gut hinbekommen habe.
Auch wenn Osnabrück früh an die Bahn angeschlossen wurde, braucht so eine große Industriestadt am besten auch eine gute Anbindung an den Schiffsverkehr. Dafür ist die Hase aber ein bisschen zu klein. Deshalb ragt der Verbindungskanal Osnabrück seit 1916 in die Industrieviertel der Stadt hinein. Inmitten von hässlichen Kränen und Hallen sprudeln die kleinen Brunnen des Geschäfts Gartenideen und scheitern komplett daran, jede Art von Gartenidylle zu erzeugen.


Wenige Kilometer später bin ich wieder auf den Kanal gestoßen, und da sah der ganz anders aus. Links und rechts erstreckt sich ein Kiesweg mit fröhlichen Spaziergängern, und auf dem Wasser betrieben viele das moderne Stand-Up-Paddling oder das klassische Sit-Down-Paddling. Nur Frachtschiffe konnte ich nicht entdecken, vielleicht wegen der späten Uhrzeit.
Einen Kilometer weiter links verläuft die Hase, doch auch das ist eine Grundregel bei kleinen Flüssen: Wenn ein deutlich größerer Kanal parallel verläuft, dann folgt der Flussradweg lieber dem Kanal.


Wenn das ein Verbindungskanal ist, womit verbindet der Osnabrück eigentlich? Nach einigen Kilometern folgt die Antwort: Ich treffe auf den Mittellandkanal, und es entsteht eine Art Kanaldreieck, das so groß ist wie ein mittelgroßer See. Die Osnabrücker Schiffe können nun links zum Ruhrgebiet oder rechts zur Weser und Elbe abbiegen.


Auf dem Mittellandkanal waren all die Lastschiffe, die auf dem Verbindungskanal gefehlt hatten. Sie fuhren aber nicht, sondern lagen am Ufer, wo sie schlafend vor sich hin rosteten. So sieht also eine Raststätte für Lastschiffe aus - alles, was man benötigt, ist eine extrem lange Betonwand mit Pollern mit Festbinden.



Die Hase bildet nun ein unübersichtliches Binnendelta: Sie teilt sich in verschiedene Flussarme, die sich durch das Land schlängeln und dabei möglichst jeder einheitlichen Benennung ausweichen.
Eine Infotafel stellte mir plötzlich folgende Frage: Sicherlich ist Ihnen im Zusammenhang mit Straßen- und Flurbezeichnungen schon einmal der Name Esch begegnet? Nö, eigentlich nicht. Und auch das Wort "Plackerei als Ausdruck einer mühsamen Schufterei ist Ihnen geläufig? Ja, das schon.
Vor 5000 Jahren kamen die ersten Menschen ins Hasedelta. Es war aber dermaßen sumpfig, dass sie bloß auf ein paar Sandkegeln leben konnten, denn Landwirtschaft ging fast gar nicht. Im Mittelalter erfand dann jemand die Plaggenwirtschaft: Man schneide ein paar Plaggen, also Bodenstücke, aus dem Moor, lege die im Viehstall auf den Boden und benutze sie dann zusammen mit der Tierkacke als Dünger. Ergebnis: Einerseits Esch, also superfruchtbarer Boden, und andererseits abgeplackter Boden, auf dem der Wind Sand herumwehte, bis er sich in Heide verwandelte.

1. Die Hasesee-Hase (so nenne ich die)

Dieser nicht näher benannte Altarm fließt durch einen idyllischen kleinen Badesee. Auch hier sind Stand-Up- und Sit-Down-Paddler unterwegs.


Der Hasesee gehört zum kleinen Städtchen Bramsche, das intensiv nach Lavendel duftet. Ich bin da nur abends durchgesaust, aber das Durchsausen hat definitiv einen positiven Eindruck von Bramsche hinterlassen. Im Mittelalter lebten hier viele Tuchmacher, von deren Arbeit ein Tuchmachermuseum übriggeblieben ist.


2. Der Zuleiter von der Hase (laut Wikipedia)/Die Hase (laut Karte)/Die Alfsee-Hase (so nenne ich die)

Im Westen strömt der dickste Flussarm zügig durch Deiche und Betontunnel. Der wurde komplett künstlich angelegt.


Ich habe diesen Kanal Alfsee-Hase genannt, weil er durch den Alfsee fließt und überhaupt nur für diesen See gegraben wurde. Der Alfsee nennt sich offiziell Hochwasserrückhaltebecken Alfhausen-Rieste. Das mag vielleicht ein guter Name für ein künstliches Becken sein, das Hochwasser verhindern soll. Wer da aber campen, Tretboote oder Wasserski anbieten will, der braucht einen handlichen Namen wie zum Beispiel Alfsee. Der See wurde 1970 gebaut, weil die Hase so viele Überschwemmungen verursacht hat.
Trotz der vielen Regentage in letzter Zeit stand das Wasser im Alfsee ziemlich niedrig. In der Abenddämmerung bot sich mir der Blick auf ein großes graublaues Dreieck, aus dem ab und zu mystischer Matsch herausguckt.


Im Norden begrenzen wunderschöne gelbgrüne Deiche das Wasser, damit der See, der verhindern soll, dass der Fluss überläuft, nicht selber überläuft. Dahinter liegt das Reservebecken, in den notfalls auch noch Wasser laufen kann. Weil das nicht so oft passiert, beinhaltet dieser See weniger Wasser und mehr Matsch und Pflanzen. Damit sieht er deutlich schöner aus, eine Radtour auf dem Deich am Reservebecken ist ein tolles Erlebnis. 94 Vogelarten bevölkern den Himmel. Manche leben hier im Sommer, manche im Winter und manche benutzen den See beim Zugfliegen als Raststätte.


3. Die Tiefe Hase (laut Schild)/Hase (laut Karte)

Ob der mittlere Arm der Hase tatsächlich tiefer als die anderen ist, lässt sich im Flachland nicht so leicht sagen. Für mich sah der nicht anders aus als die anderen Flussarme: Ein dunkelgrünes Bad schlängelt sich durchs Land, umgeben von Hecken und selbstverständlich grünem Geländer.


4. Die Hohe Hase (bei dem Namen sind sich alle einig)

Der östlichste Flussarm sieht auf diesem Bild nicht sehr hoch aus, dafür dreht er ein süßes kleines Mühlrad.


Die Hohe Hase teilt sich noch einmal in zwei Teile und bildet eine Flussinsel, die noch vor Kurzem von Nonnen bewohnt wurde (deshalb fließt in der Nähe auch der sogenannte Nonnenbach in die Hase).
Auf der Insel steht das Kloster Zum gekreuzigten Erlöser alias die Kommende Lage (eine Kommende ist die Übertragung von Kirchenvermögen auf eine andere Person und praktisch wohl so was ähnliches wie ein Kloster).
Angeblich hatten zwei Mönche hier eine Vision, wie in Kreuz in der Luft schwebte und eine Stimme sagte, sie sollten gefälligst so ein Kreuz herstellen. Das haben sie überraschenderweise hingekriegt, obwohl sie keine Ahnung von Bildhauerei hatten. Deshalb pilgerten seit 1313 Leute zu diesem Wunderkreuz, bis mehrere Kriege dem Kloster übel mitspielten. Damals betrieben die Johanniter und Malteser den Laden. Irgendwann wurde es aufgelöst, aber 1999 kaufte der Bischof von Osnabrück es zurück und richtete ein Kloster für Dominikanerinnen ein. Eine Zeit lang waren die sehr erfolgreich, boten Kloster auf Zeit für gestresste Leute und sogar ein paar junge Frauen traten ein. Dann traten sie aber wieder aus, und im März 2020 verließen die letzten vier Nonnen die Insel. Als nächstes wollen die Franziskaner ihr Glück in diesem vom Pech verfolgten Kloster versuchen.
Auf der Insel haben sie ein imposantes Eingangstor, ein gut erhaltenes rosa Wohngebäude, viel Grün und eine hohe Kirche - die schöne Lage in Lage war vermutlich nicht der Grund, warum die jungen Frauen gegangen sind.


Da mir eine Übernachtung im Kloster schon aus Geschlechtsgründen nicht möglich war, habe ich hinter Lage mein Lager aufgeschlagen. Hier fließen die Hohe und Tiefe Hase wieder zu einem breiten Fluss zusammen und rauschen eine große Stromschnelle runter. Ein perfekter Ort, um mich nach dem heißen Tag abzukühlen!
Ich habe die Stelle gegen 21 Uhr erreicht. Während der nächsten zwei Stunden kam niemand vorbei. Als ich mich also um 23 Uhr auf meine Isomatte bettete, ging ich also davon aus, eine ruhige Nacht vor mir zu haben.
Kurz darauf begann im Wald eine illegale Coronaparty.