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Samstag, 2. Juni 2018

Leine: Von Göttingen nach Kreiensen

Den Weg aus Göttingen heraus habe ich ein bisschen verpeilt. Irgendwann verwandelten sich die Radwege am Flussufer in einen Dschungel mit Trampfelpfaden, da muss ich irgendwo die richtige Abzweigung verpasst haben. Plötzlich lag mir ein Paar Schienen im Weg, die zu einem Gewerbegebiet führten. Da musste ich das Rad drüberheben.

Dann fand ich zurück auf den rechten Weg und fuhr über asphaltierte Feldwege, unter anderem neben dem Bächlein namens Weende. Die Route entfernt sich ein wenig von der Leine.

Im Leinetal hinter Göttingen folgen ein paar kleinere Orte, oder genauer gesagt, Flecken. Um in die Innenstadt zu gelangen, muss man vom Radweg abweichen und ein paar größeren Straßen über Brücken und Tunnel folgen. Da ich ja alles erkunden wollte, habe ich das auch pflichtbewusst getan.
Der erste Flecken namens Bovenden ist eigentlich ein Göttinger Vorort und grundsätzlich nicht so spannend.
Hoch über Bovenden ragt die Burg Plesse auf. Der Umweg dorthin ist auf dem letzten Stück ein bisschen steil. Wir haben daher die Räder angeschlossen und sind einfach zu Fuß hinaufgestiegen.

Die Burg hat zwei Türme, einen dicken und einen dünnen. Der dicke ist öffentlich zugänglich, man muss nur einen Euro (Studenten 50 Cent) in die Kasse des Vertrauens werfen. Das ist die Aussicht allemal wert. Ein richtiges Museum ist in der Burg nicht, nur ein paar Infotafeln und ein Restaurant, das montags Ruhetag hat.

Das hier ist Nörten-Hardenberg. Dort gibt es Bier in erstaunlich kleinen Flaschen und wieder einmal bezauberndes Fachwerk in perfekt erhaltenem Zustand.

Damit man von einem Tal sprechen kann, braucht man natürlich links und rechts auch ein paar Berge, inklusive Wälder, Dörfer und Burgruinen. An der Leine ist das alles vorhanden, auch wenn die Berge natürlich längst nicht so hoch sind wie an der Donau und am Rhein.
Das Tal ist sehr breit, Steigungen gibt es nicht mehr. So ist genug Platz für die Leine, den Radweg, eine Autobahn, eine Bundesstraße und eine Bahnstrecke, auf der neben der Leinetalbahn auch erstaunlich viele ICEs unterwegs sind.
Es führt übrigens noch ein zweiter Radweg durch das Tal, nämlich der schnurgerade Weg neben der Hauptstraße. Der ist schneller, obwohl es ein paar Hügel gibt, und ist natürlich super für Alltagspendler. Wer eine schöne Strecke möchte, sollte aber am Fluss bleiben.

In der nächsten Stadt geht es deutlich belebter zu als in Nörten-Hardenberg. Aus einer vorchristlichen Siedlung, einem fränkischen Herrenhof an der Kreuzung zweier Handelswege, einem Benediktinerkloster und einer Ackerbürgerstadt hat sich Northeim entwickelt, das für sein Theater bekannt und Teil der deutschen Fachwerkstraße ist. Eine bewegte Geschichte also - doch heutzutage kennt man Northeim vor allem daher, dass sich die Göttinger Studenten ständig über den Vorort lustig machen.

Auf dem Marktplatz sind Momo und die Schildkröte Kassiopeia unterwegs. Hat Michael Ende etwa hier gelebt? Oder spielt sein Buch in Northeim? Nein, die Begründung ist etwas dürftiger: Im Buch Momo geht es um Zeit, und "die Zeit hat auch die Stadt Northeim sehr verändert".

Radweg und Leine schlängeln sich mitten durch die Northeimer Seenplatte. Generell ist es ganz typisch für die Leine, dass sie andauernd knapp an irgendwelchen Seen vorbeifließt, ohne je dort hineinzumünden. Das liegt daran, dass die meisten Seen künstlichen Ursprungs und daher deutlich jünger als der Fluss sind.
Hier wurde Kies abgebaut, mittlerweile wird das Wasser aber auch stark als Freizeitstätte zum Bootfahren und Baden (allerdings nur in eigegrenzten Bereichen) genutzt. Die großen Seen mit den Kieskränen sind schon ganz eindrucksvoll anzusehen. Ihre Namen sind allerdings sehr einfallslos, zum Beispiel See 1 oder Freizeitsee.

Besonders schön ist der Radweg durch die Seenplatte nicht. Er führt über mehrere Bahngleise, unter Fließbändern (beziehungsweise Kiesbändern) und einer Autobahnbrücke hindurch, neben einer Hauptstraße und einer Baustelle. Wer eine schöne Stelle am See finden will, muss den Radweg kurz verlassen - entweder zum offiziellen Badestrand am See 1 oder zu einer schönen Stelle am See 2, wo das Baden verboten ist. Inmitten dieser merkwürdigen Kombination aus Natur und Hässlichkeit mündet auch noch ganz versteckt die Rhume in die Leine, die jede Menge Wasser aus dem Harz mitbringt.

Wer noch mehr Seen sehen will, kann laut der neuen Leineradweg-Karte auch die sogenannte Teichvariante wählen. Dort fährt er weiteren Baggerseen vorbei. Wegen des Gestrüpps  sieht man davon nicht viel, während man auf einer kleinen Straße Baufahrzeugen ausweicht.
Schön wird die Teichvariante erst, wenn alle Teiche weg sind. Dann stehen mehrere weiße Kieswege (nicht so wie der in der Bildmitte, sondern wie der oben rechts) zur Verfügung, einer auf dem Deich, einer davor und einer dahinter. Eigentlich wäre der Name Deichvariante passender. Auf dieser Strecke sieht man die Polderlandschaft der Leine.
Um Überschwemmungen zu verhindern, hat man an der Leine nämlich fünf Polder angelegt, in die das Wasser gegebenenfalls zurückweichen kann. Das sind große Becken, die von grünen Deichen eingefasst werden. Wenn eins voll ist, läuft das Wasser durch ein Rohr ins nächste. (Bei kleineren Flüssen reicht das, da brauchen die Polder nicht noch so viele Extras, wie ich sie an den Poldern am Oberrhein gesehen habe.) So wird verhindert, dass Hannover mit Schmelzwasser aus dem Harz (über die Ruhme) überflutet wird. Dieses Rückhaltebecken ist ernsthaft der drittgrößte See Niedersachsens - wenn man alle künstlichen Gewässer, die entfernt einem See ähneln, mitzählt. In Salzderhelden steht schließlich ein großes Stauwerk (hinten im Bild). Die Teichvariante führt obendrüber und zurück zum Hauptweg.

Am Hauptradweg steht eine Geschiebesperre, also eine Art Sieb für all das Geröll und den Kies, das der Fluss transportiert. Das sammelt sich an der Sperre an. Dadurch entsteht eine besondere Landschaft, in der sehr viele Vogelarten brüten. Das erklären die Hinweistafeln am Aussichtpunkt alles ganz genau. Nur eines verraten sie nicht: Warum die Sperre eigentlich errichtet wurde. Wahrscheinlich soll das ein Ausgleich für die Naturräume sein, die beim Bau der Polder verschwunden sind. Auf jeden Fall ist das ein guter Ort, um Vögel zu beobachten.

Ansonsten bietet der Hauptradweg nicht so schöne Aussichten wie die Teichvariante. Er entfernt sich  vom Fluss und führt an der Straße entlang. Dafür ist man dort deutlich schneller als auf weißem Kies.
Bei sengender Hitze ging es weiter, vorbei an einer durstigen Schafherde mit leeren Wassertrögen, die sich unter dem Schatten eines Baumes zusammendrängte. Die armen Biester sahen so mitleiderregend aus, dass ich fast meine halbvolle Trinkflasche in den Trog ausgegossen hätte.

Wir gelangen in eine sehr salzige und heroische Gegend. Denn in solchen Salinen (hier in Sülbeck) wurde hier einst Sole aus dem Boden gepumpt.

Deshalb trägt das nächste Dorf den lustigen Namen Salzderhelden. Es steht am Fuße eines Hügels an der Kreuzung zweier Flusstäler, der Leine und der Ilme.
Die Leine und die Bahn führen links um diesen Hügel herum, der Radweg jedoch rechts.
Schon von Weitem ist die Ruine der Heldenburg zu sehen.
Ich muss zugeben, mit einem verschwitzten Rücken und einer nicht unbeträchtlichen Anzahl an Kilometern hinter mir habe ich mich hier auch ein wenig salzig und heldenhaft gefühlt.

Um Salzderhelden anzugucken, ist ein Umweg von 3 Kilometern hin und zurück notwendig. Das Dorf selbst besteht nur aus fein säuberlich aufgereihten, vollkommen stillen Einfamilienhäusern. Aber die Burgruine ist ganz schön. Die Herzöge von Braunschweig-Grubenhagen verlegten ihre Residenz hierher, weil sie so schön verkehrsgünstig gelegen war (obwohl hier damals noch gar kein Metronom-Regionalexpress fuhr). In der Gegend gehörten praktisch alle Burgen dem Adelsgeschlecht der Welfen. Die Grubenhagener Welfen waren der ärmste Familienzweig, deshalb konnten sie sich keine Residenz in einer Stadt leisten.

Das Wort helde, nach dem die Burg benannt wurde, hieß einfach nur steiler Abhang. Nun ja, ein steiler Abhang ist durchaus da, deshalb habe ich mein Fahrrad lieber geschoben. Aber die anderen Burgen wie die Plesse sind noch deutlich höher. Die liegen ja auch nicht auf einem Hügel mitten im Tal, sondern am Rand.

So, zurück zur Hauptroute. Der straßenbegleitende Radweg führt zu einer Kreuzung, wo der Radfahrer erneut vor eine Wahl gestellt wird. Rechts führt der Leineradweg direkt weiter. Oder mache ich noch einen Umweg nach links, zur Altstadt von Einbeck? In dem Fall folgt man einer Straße mit schönen Radwegen hinein in die Stadt, vorbei an Aldi, Lidl und Getränkemarkt.
Einbeck liegt zwar im Leinetal, aber nicht an der Leine und auch nicht an der Leinetalbahn, irgendwie ein bisschen abseits. Seit Kurzem fährt immerhin eine kurze Regionalbahn von Einbeck-Salzderhelden nach Einbeck-Mitte. Diese Ilmebahn hat ernsthaft nur zwei Haltestellen, die Fahrt dauert sechs Minuten. Dadurch ist Einbeck endlich richtig an die Bahn angeschlossen, denn der Bahnhof in Salzderhelden liegt ja völlig außerhalb der Stadt.

Die Altstadt von Einbeck besteht, Überraschung, wieder mal aus Fachwerk. Die historischen Häuser haben hier außerdem solche bunten Bögen über der Haustür. Hier haben früher reiche Leute mit B gewohnt: Bürgerliche Bierbrauer und Blaudrucker.

Als Indien entdeckt wurde, kamen indische Stoffe nach Einbeck. Die Einheimischen mussten sich etwas überlegen, um mit der Konkurrenz im Ausland mitzuhalten. So wurde der Blaudruck erfunden: Man ordnet Schablonen aus einer besonderen Mischung aus Kalk und anderem Zeug auf dem Tuch an, blaue Farbe drauf, drücken und dann sind da schöne, ganz filigrane Muster drauf.

Mit diesem Thema beschäftigt sich das Einbecker Stadtmuseum, ebenso wie mit der Stadtgeschichte ganz allgemein und dem Einbecker Bier. ("Berühren Sie den Zapfhahn und zapfen Sie Informationen.") Es hat zwar sehr viele sehr lange Texte, aber auch einiges zum Ausprobieren - also ein Museum, bei dem sich der Besucher selbst aussuchen kann, wie sehr er sich langweilen will.
Besonders interessant ist natürlich das Radhaus, eine Fahrradausstellung. Hier habe ich ausprobiert, ein Klapprad auseinanderzufalten oder auf einem Hochrad zu treten.
Zu Fahrrädern hat Einbeck auch einen besonderen Bezug, weil hier im 20. Jahrhundert die Heidemannwerke von Karl Heidemann massenhaft Fahrräder herstellten. Auf demselben Fabrikgelände hatte Ende des 19. Jahrhunderts ein Herr namens Ernst-August Stukenbrok eine frühe Form von Amazon erfunden, wobei er mangels Internet dicke Versandhauskataloge drucken musste. Anfangs verkaufte er Fahrräder und Ersatzteile, später auch Waffen und Munition und schließlich fast alles. 1911 hatte er 600 000 Kunden. Die Einbecker waren wirklich geschäftstüchtig.

Das Museum habe ich übrigens separat an einem anderen Tag besucht, wie einige der anderen Sehenswürdigkeiten auch - falls sich jemand fragt, wie ich das alles auf einem Tag schaffe. Ich wollte es hier trotzdem einbauen.
Nun aber zurück zum Radweg. Wir folgen nun eine Weile der Ilme, bis sie (ganz rechts) in die Leine mündet.
Die Leine wechselt mehrmals die Farbe: Anfangs war sie grünbläulich, nun färbt sie sich dunkelgrün und später dann braun.

Nun wird das Tal schmaler. Der Radweg führt auf einer Straße durch weitere Dörfer, bis ich endlich wieder in die Natur durfte.
Große Brücken und Viadukte stehen herum. Diese Brücke liegt beim kleinen Ort Kreiensen, der noch zu Einbeck gehört.

Und weiter hab ich es an dem Tag nicht geschafft, immerhin wollte ich die ganze Strecke noch zurück nach Göttingen.

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