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Mittwoch, 19. August 2020

Weser: Von Porta Westfalica nach Nienburg

Weser-Tag 6: Sprühregen auf Spargelstraßen

gefahren im: Juli 2020
Start: Nienburg, Bahnhof
Ziel: Porta Westfalica/Hausberge, gemütliches Familienzimmer mit Netflix
Länge: 65 km
Weserquerungen: 2 (Brücken)
Ufer: meist links, außer bei Nienburg
Landschaft: ach, so flach
Wegbeschaffenheit:
erst Radwege, dann Haupt- und Nebenstraßen
Steigungen: keine
Wetter: grau und stürmisch
Wind: starker Südwestwind
Highlight: Altstadt Nienburg
Größte Hürde: Gegenwind
Zitat des Tages: "Veronika, der Spargel wächst." - Comedian Harmonists -

1. Fahren Sie diese Etappe keinesfalls in die entgegengesetzte Richtung! Der Wind wird Sie dafür bestrafen.

2. Unterqueren Sie auf dem Radweg ungefähr zwölftausend Brücken. Die Berge hinter Ihnen werden immer kleiner, denn die Porta Westfalica hat Sie ins Norddeutsche Flachland entlassen. Im Reiseführer finden Sie dazu Beschreibungen wie Endlich können Sie den Blick weit und ungestört schweifen lassen., aber das ist nur ein Code für Keine Berge mehr, jetzt ist alles platter und langweiliger.

3. Finden Sie Minden? Ja, Minden ist leicht zu finden. Durchqueren Sie den schönen Park am Schloss. Biegen Sie an der Uferpromenade in die Stadt ab, falls Sie Lust auf einen Döner in beklemmender Atmosphäre haben.
Minden stand früher in starker Konkurrenz zu Bremen. Die norddeutschen Backsteinhäuser haben sich hier ungewöhnlich weit in den Süden verirrt, von denen steht aber nur noch eins.
Die Großstädte an der Weser waren zwar einst ebenso blühende Handelsstädte wie ihre kleinen und mittleren Kollegen und sahen wahrscheinlich ganz ähnlich aus wie Hameln oder Bodenwerder. Aber was Sie schon in Bad Oeynhausen vermutet haben, bestätigt sich hier: Weil die Großstädte im Zweiten Weltkrieg größere Ziele abgaben, ist davon nicht mehr viel zu sehen. Nur eine Handvoll Fachwerk und der Dom von Minden wurden restauriert. In der Fußgängerzone ist es nicht sonderlich gemütlich: Hier sitzen Sie inmitten von hohen, kahlen Gebäuden in einer vollkommen stillen, menschenleeren Straße. An einem Samstagabend.


4. Fahren Sie neben der Weser unter den tonnenschweren Wassermassen des Mittellandkanals durch. Eine grüne Trogbrücke ermöglicht Ihnen das. Über Ihnen fahren Lastschiffe nach Westen zum Rhein und nach Osten zur Leine. Die Weser versorgt den Kanal mit Wasser: Einige leistungsstarke Pumpen schaffen es nach oben.


5. Schlängeln Sie sich durch ein kleines Hafenlabyrinth und bestaunen Sie die historische Schachtschleuse. Ja, das ist eine Schleuse, keine Burg. Folgen Sie nun der Weser.


6. Machen Sie einen Spaziergang durch den Mindener Nordfriedhof. Er hat beeindruckende Kaskaden, die fast schon Kassel-Wilhelmshöhe Konkurrenz machen.


7. Passieren Sie den alten Bahnhof von Petershagen. Der ist schonmal etwas gemütlicher als Minden, aber noch ausbaufähig. Das sah wohl auch der Bischof von Minden so: Im 14. Jahrhundert ist er aus Minden hierher abgehauen, weil ihm die Bürger so ungemütlich auf die Pelle rückten. Er baute sich dann erstmal eine Burg. Die sollte 1544 zum Schloss ausgebaut werden. Dabei wurde möglicherweise der Brauch erfunden, fertiggestellte Bauaubschnitte mit Bier zu feiern. Das Schloss hatte mehr Pech als der BER und wurde nie fertig. Das lag aber nicht daran, dass zu viel Bier konsumiert wurde, sondern an Religionskriegen.


Sie haben zwei Optionen:
Entweder fahren Sie am Weserufer bis Petershagen, schlängeln sich durch die Innenstadt und am Alten Bahnhof kommen Sie auf den Radweg.
Oder Sie... ups, Sie bereits früher auf diesem Radweg gelandet, weil Sie dem Schild gefolgt sind, egal.
In jedem Fall landen Sie auf einem schnurgeraden Asphaltweg, der hinter den Dörfern entlangführt. Die Weser sehen Sie nicht, fahren lässt es sich hier super. Lassen Sie sich von Rudi der Reiherente (unten links) die Natur erklären und vergessen Sie auch nicht, die Windmühlen zu bewundern, zum Beispiel die Pottmühle (oben rechts).
Falls Sie rechts abbiegen, gelangen Sie per Solarfähre ans andere Ufer. Das klingt zwar faszinierend, ist aber ein großer Umweg.


8. Leider ist dieser Weg irgendwann zu Ende. Den Rest der Strecke müssen Sie auf Straßen im Zickzack hin- und herfahren. Dabei sehen Sie zahlreiche Baggerseen. Der Wind peitscht ihr Wasser auf, sodass Sie wie stürmische Meere aussehen.


Falls Sie in einem der Seen baden möchten, nehmen Sie gleich die erste kleine Badestelle. Später ist es verboten.


Immerhin liegen zahlreiche Schutzhütten auf dem Weg. Verkriechen Sie sich darin vor dem miesen Wetter.

Außerdem können Sie erstaunlich bunte Schottergärten mit Storchennest und Fahrrad beobachten.


Passieren Sie Rußland. Sie benötigen dazu kein Visum.


9. Erreichen Sie auf einem weiten Bogen nach Osten eine russische Stadt: Schlüsselburg. (Ja, eine Stadt dieses Namens gibt es wirklich bei St. Petersburg.) Hier steht die Schlüsselburg, für deren Besichtigung Sie vermutlich einen Schlüssel benötigen, und ein historisches Scheunenviertel aus dem 17. Jahrhundert. Bewundern Sie die alten Scheunen. Fahren Sie an einem Haus vorbei, in dessen Tür jemand tatsächlich einen Schlüssel hat stecken lassen.
Außerdem führt hier eine Variante zum Steinhuder Meer.


Auf diesem Bogen nach Osten überqueren sie zweimal einen kleinen Kanal. Das erste Mal auf der Hauptstraße, beim zweiten Mal hat die einen Radweg. Ja, dieser lange Bogen war unvermeidbar, ich habs überprüft.


10. Machen Sie Mittagspause in Stolzenau. Gegenüber vom Rathaus gibt es leckere Nudeln - an der Hauptstraße, aber dennoch gemütlich von Bäumen umgeben und direkt neben dem Radweg. Darauf kann Stolzenau stolz sein.


Folgen Sie der bunten Wesersteinschlange, die angeblich (laut einem laminierten Zettel, also muss es stimmen) Weltkulturerbe ist. Um sich während der Coronazeit zu beschäftigen, sollte jedes Kindergartenkind einen Stein finden, bemalen und hinlegen.


11. Leider müssen Sie noch einmal auf der Hauptstraße fahren. Überqueren Sie die Weser. Oben auf der Brücke können Sie einen letzten Blick auf die fernen Berge erhaschen. Sehnen Sie sich nach dem Weserbergland und seinen tollen Radwegen.


12. Immerhin bekommen Sie jetzt noch einmal einen Radweg an der Weser. Um den Fluss zu sehen, müssen Sie den Deich erklimmen. Dort schleusen die Schleusen gerade Schiffe.


13. Tja, aber kurz darauf ist der Schleusen-Radweg schon wieder vorbei - willkommen zur nächsten Zickzack-Strecke in den Nienburger Vororten. Durchqueren Sie ein weiteres Scheunenviertel und einen Wald namens Nienburger Bruch.


14. Jetzt haben Sie vermutlich schon erraten, wie das heutige Ziel heißt. Richtig: Nienburg. Im Stadtgebiet können Sie wieder an der Weser radeln. Spaziergänger und blaue Brücken begleiten Sie.
Nienburg bedeutet "Neue Burg". Besagte Burg ist inzwischen nicht mehr neu, sondern wurde längst abgerissen, vorher konnte sie aber eine ziemlich krasse Leistung verbuchen: Die kaiserliche Armee hat es im Dreißigjährigen Krieg nicht geschafft, sie zu erobern.


Sollten Sie Lust auf frisches Gemüse haben, schieben Sie Ihre Räder durch den (laut einer Jury) schönsten Wochenmarkt Deutschlands. Sehen Sie den langsamen Wandel von Fachwerk zu Backstein, der Ihnen anzeigt, dass Sie nach Norden unterwegs sind.
Berühren Sie die Statue der Kleinen Nienburgerin. Auch dem Spargel hat Nienburg eine Statue gewidmet, hinzu kommt ein Spargelmuseum (in dem es aber auch im Landwirtschaft allgemein geht). Schon der heutige Radweg verlief teilweise auf der Deutschen Spargelstraße. All dies lässt nur den Schluss zu, dass hier sehr viel Spargel angebaut wird.
Eine richtig große Stadt ist Nienburg dann doch nicht. Das erkannten wir, als wir auf einer kurzen Runde durch die Stadt zufällig die einzige Nienburgerin getroffen haben, die wir kennen.



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